

Warschau und Berlin werten russische Drohnen über Polen als gezielte Provokation
Polen und seine Nato-Verbündeten haben das Eindringen von fast 20 russischen Drohnen in den polnischen Luftraum als gezielte Provokation gegen das gesamte westliche Militärbündnis verurteilt. Polens Regierungschef Donald Tusk sprach am Mittwoch von einer "Provokation großen Ausmaßes", Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verurteilte das "rücksichtslose Vorgehen" Russlands "auf das Schärfste". Warschau, Berlin und weitere Nato-Partner gingen davon aus, dass die russischen Drohnen absichtlich in den polnischen Luftraum gesteuert wurden. Die Nato beriet auf polnischen Antrag nach Artikel 4 des Militärbündnisses wegen Bedrohung eines Mitgliedstaates.
Die Drohnen drangen in der Nacht zum Mittwoch in den polnischen Luftraum vor, einige von ihnen wurden von der polnischen Armee mit Unterstützung von Nato-Verbündeten abgeschossen. Polen meldete mindestens 19 Luftraumverletzungen und bestätigte zunächst den Abschuss von drei Drohnen. Regierungschef Tusk sprach im Parlament von einer "großen Anzahl russischer Drohnen", die den polnischen Luftraum verletzt hätten. Dies bringe Polen "näher denn je an einen offenen Konflikt". Verletzte oder Todesopfer gab es nach seinen Angaben nicht.
Sieben Drohnen und Überreste eines noch nicht identifizierten Geschosses wurden laut polnischem Innenministerium im Osten des Landes gefunden. "Wir saßen da gerade und da flog dieses Flugzeug über uns... ich habe zu meinem Mann gesagt: 'Warum ist dieses Flugzeug heute so laut?' und plötzlich, ein Knall und das war's", berichtete die 64-jährige Alicja Wesolowska, deren Haus zerstört wurde, der Nachrichtenagentur AFP.
Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski ging von einem absichtlichen Vorgehen Russlands aus. Es handele sich um einen "beispiellosen Angriff, nicht nur auf das Territorium Polens, sondern auch auf das Nato- und EU-Gebiet". 19 Verletzungen des Luftraums könnten "nicht unbeabsichtigt" in einer Nacht geschehen.
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 haben Polen und die Nato-Staaten im Baltikum immer wieder Verletzungen ihres Luftraums durch einzelne russische Drohnen gemeldet, bisher hatten sie aber nie Drohnen abgeschossen - und noch nie eine solch große Anzahl an Drohnen gemeldet.
Polnische Flugzeuge schossen nun mit Unterstützung von Nato-Partnern erstmals russische Drohnen ab. An dem Einsatz waren auch Nato-Flugzeuge beteiligt, darunter niederländische F-35-Kampfjets. Ein Nato-Sprecher erklärte, dass auch deutsche Patriot-Luftabwehrsysteme in Polen in Alarmbereitschaft versetzt und ein italienisches Frühwarnflugzeug im Einsatz gewesen seien.
Die ohnehin für Mittwoch geplante Sitzung des Nordatlantikrats wurde auf Antrag Polens - ein wichtiger Unterstützer der Ukraine - unter Artikel 4 abgehalten. Nato-Generalsekretär Mark Rutte verurteilte das "absolut rücksichtslose" und "absolut gefährliche" Verhalten Russlands und lobte den Nato-Einsatz gegen die russischen Drohnen als "sehr erfolgreich". Die Nato sei bereit, "jeden Zentimeter" des Nato-Gebiets zu verteidigen. Ein Nato-Vertreter sagte AFP, die Antwort der Nato könnte darin bestehen, "ein paar Extra-Positionen" nach Polen oder in den Osten zu verlegen.
Auch US-Präsident Donald Trump kostatierte, dass Russland "den polnischen Luftraum mit Drohnen verletzt" habe. In Online-Netzwerken fügte er den Satz hinzu: "Here we go!" ("Los geht's"). Trump wollte noch im Laufe des Tages mit dem polnischen Präsidenten Karol Nawrocki telefonieren. Der US-Präsident hatte Nawrocki vor einer Woche im Weißen Haus empfangen und Polen Unterstützung zugesichert. Er zeigte sich offen dafür, mehr US-Soldaten in das Land zu entsenden. In Polen waren laut Medienberichten zuletzt rund 8000 US-Kräfte stationiert.
Bundeskanzler Merz erklärte: "Russland hat Menschenleben in einem Staat gefährdet, der der NATO und der EU angehört." Er fügte hinzu: "Dieses rücksichtslose Vorgehen reiht sich ein in eine lange Kette von Provokationen". Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach von einer gezielten "Provokation" durch Moskau, die sich gegen die gesamte Nato gerichtet habe. Mit Verweis auf Angaben aus Polen betonte er, die Drohnen seien offenbar von Belarus aus gesteuert worden. Russland und Belarus halten ab Freitag ihr gemeinsames, großes Manöver "Sapad 2025" (Westen 2025) ab.
Pistorius sagte weiter, die Nato werde nun reagieren - "klar, aber auch sehr besonnen und nicht eskalierend". Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) hielt Moskau vor, es habe "leichtfertig eine gefährliche Eskalation in Kauf genommen".
Moskau nahm nicht Stellung dazu, ob die Drohnen absichtlich in den polnischen Luftraum eingedrungen waren. Das Verteidigungsministerium bestritt aber einen gezielten Angriff. "Es bestand nicht die Absicht, Ziele auf polnischem Staatsgebiet anzugreifen", erklärte das Ministerium. Das russische Außenministerium warf Polen vor, durch "Mythen" die Ukraine-Krise weiter eskalieren zu wollen. Die russische Botschaft in Warschau betonte, Polen habe "keine Beweise für die russische Herkunft" der Objekte vorgelegt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte hingegen, Russland habe die Drohnen gezielt in den polnischen Luftraum gesteuert. Er forderte erneut eine gemeinsame Luftabwehr der Ukraine und ihrer europäischen Verbündeten. Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas ging von einer vorsätzlichen Verletzung des polnischen Luftraums und einer "Prüfung" für die europäische Geschlossenheit aus.
H.Tawfik--CdE